Self Care Sunday 22 – Was Toleranz mit Selbstliebe zu tun hat
Der Rock ist kurz, die Beine dellig – na, ich an ihrer Stelle hätte ja mal eher eine Hose angezogen…
Jetzt ist sie schon 60 und hat graue Haare – na, ich an ihrer Stelle würde doch lieber eine altersgemäße Kurzhaarfrisur tragen…
Sie hat eh schon Kleidergröße 50 und jetzt isst sie auch noch ein Stück Torte – na, ich an ihrer Stelle hätte mich da schon besser im Griff…
Das Kind ist schon zwei und sie stillt immer noch – also, ich finde das total unnatürlich, ich habe auch nur 6 Monate gestillt…
Jetzt schwänzt ihre Tochter schon wieder die Schule und demonstriert für die Umwelt – na, ich würde meinen Kindern ja was erzählen…
Jetzt ist sie auch noch Veganerin und geht allen anderen mit ihrem Lifestyle auf den Keks – also, ich finde das ja total ungesund und nervig obendrein…
Hand aufs Herz – kommt dir die ein oder andere Situation oben bekannt vor? Hast du solche oder ähnliche Situationen schon in deinem Alltag erlebt?
Wir schauen aus unseren eigenen Schuhen auf die Welt
Wir alle schauen aus unseren eigenen Schuhen auf die Welt. Wir alle sind auf eine bestimmte Art und Weise erzogen wurden, von unserem Umfeld, unseren Freunden, unserer Familie, unseren Kollegen geprägt worden und haben verschiedene Erfahrungen in unserem Leben gemacht. Wir haben unterschiedliche Meinungen, unterschiedliche Vorlieben und eben auch unterschiedliche Abneigungen.
Nun könnte man nach alter kölscher Tradition sagen „Jeder Jeck ist anders“ und es dabei belassen. Statt dessen aber nagt häufig ein Unbehagen in uns, wenn Andere anders sind als wir. Warum aber stört es uns, mal offensichtlich, mal hinter vorgehaltener Hand, mal ganz geheim im Innersten, wenn andere Leute anders ticken als wir?
Toleranz passiert nicht immer von allein
Dieses Unbehagen dem Anders sein gegenüber ist übrigens nicht zwangsläufig schlecht. Und das ist kein Aufruf dazu, andere Menschen, dazu zu bringen, sich unserem Idealbild anzupassen. Nein, dieses Unbehagen gibt uns die Gelegenheit, tiefer in uns hineinzuhorchen und zu hinterfragen, warum dieses Gefühl da ist.
Vielleicht geht mir die laute, omnipräsente Kollegin nur deswegen so auf die Nerven, weil ich mich mit all meinen Projekten und wichtigen Arbeiten nicht gesehen fühle und vielleicht an genau der Stelle ein Defizit habe, mich sichtbarer zu machen. Und sie hält mir mit ihrer eigenen Verhaltensweise völlig ungewollt einen Spiegel vor Augen. Und natürlich können wir uns über die Kollegin beklagen, wie laut und rücksichtslos sie ist – vielleicht aber nutzen wir die Erkenntnis eher dazu, an uns selbst zu arbeiten und vielleicht auch an manchen Stellen ein kleines Bisschen hörbarer und präsenter zu sein.
Vielleicht finde ich die Frau mit Kleidergröße 50, die sich im kurzen, dekolletierten Kleid selbstbewusst und sexy auf dem Avon Cover präsentiert, zu forsch, zu frech und außerdem zu dick, um so ein Outfit zu tragen. Vielleicht aber nutze ich die Gelegenheit zu hinterfragen: was würde ich eigentlich tragen, tun oder eben nicht mehr tun, wenn ich keine herabwürdigenden Blicke von anderen fürchten müsste. Ein langes Kleid tragen, trotz kurzer Beine? Einen großen Ausschnitt tragen trotz Körbchengröße A oder keinen BH trotz Körbchengröße D? Hotpants an einem heißen Sommertag trotz Cellulite? Einen Bikini mit 75?
Tolerant sein, heißt an sich selbst zu arbeiten
Wenn du magst, nutze den heutigen Self Care Sunday dazu und überlege dir: welche Person wäre ich, wenn ich mir keine Sorgen um das Urteil von anderen machen müsste? Wie würde ich aussehen? Was würde ich tragen? Wie würde ich mich verhalten? Was würde ich tun?
Und Nein, du musst nicht alles, was dir in den Sinn kommt, umsetzen. Aber vielleicht gibt es die ein oder andere Idee, von der du sagst: warum eigentlich nicht?! Und dann probierst du sie nächste Woche mal aus. Und vielleicht inspirierst du auch noch andere dazu, es dir gleichzutun.
Denn: wäre es nicht wunderschön, wenn wir alle einfach so sein dürften, wie wir eben sind? Ohne, dass Andere uns in ein Schema pressen. Die gute Nachricht: wir dürfen das! Und Andere dürfen das auch.
Toleranz und Selbstliebe sind zwei enge Verbündete!
Wenn wir voller Vertrauen zu uns selbst stehen, uns selbst mit allen Ecken und Kanten so annehmen und lieben, wie wir sind, dann geht es auf einmal gar nicht mehr darum, ob Andere anders sind. Ganz im Gegenteil, denn dann wissen wir: ich bin so, wie ich bin und Andere sind so, wie sie sind. Und beides ist gut, genauso wie es ist!
Also ich finde Toleranz eine tolle Sache. Aber ich verstehe unter Tolerenz auch, dass ich mich nicht verbiege und heuchlerisch mit meiner Meinung hinterm Berg halten muss. Ja vielleicht finde ich es seltsam, dass jemand einem vierjährigen Kind noch die Brust gibt, oder ich halte es für sinnvoller, dass die Kinder in die Schule gehen um dann einen Beruf ergreifen zu können, mit dem sie wenn sie wollen die Welt wirklich besser machen können.
Jeder soll im legalen Bereich machen, was ihn voran bringt und glücklich macht, aber wer Toleranz erwartet, muss auch die Meinungen dazu von anderen tolerieren – egal ob sie ihm passt oder nicht!