In unserem Interview mit der Expertin Dr. Croos-Müller klären wir, woran es liegt, dass es mit der Stimmung jetzt schneller bergab geht als im Sommer und vor allem was wir dafür tun können, uns auch jetzt rundum wohlzufühlen. Bye bye Herbst-Blues!
Frau Dr. Croos-Müller, woran liegt es, dass viele Menschen den „Herbst-Blues“, hin und wieder auch Herbstdepression genannt, haben?
Dr. Croos-Müller: Es ist tatsächlich die Einwirkung des Sonnenlichts, die Lichtverhältnisse, die im Herbst und Winter deutlich weniger werden und deren Auswirkungen auf unseren Organismus: bestimmte Neurotransmitter und Hormone werden bei diesen Menschen zu wenig gebildet.
Und dann noch unser Rückzug in warme, aber ebenfalls nicht genügend helle Räume und weniger körperliche Aktivität: das kann bei entsprechend disponierten Menschen, erst recht unter Stress, einen Herbst-Blues fördern. Gerade heuer sollten wir diesbezüglich achtsam sein, denn eine stabile psychische Gesundheit ist auch ein wichtiger Faktor für eine gute Immunlage und körperliche Gesundheit. Die Weltgesundheitsorganisation hat dazu formuliert: es gibt keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit „there is no health without mental health“.
Angeblich hat fast jeder 5. in Deutschland alle Jahre wieder damit zu tun. Woran genau merken wir überhaupt, dass wir den Herbst-Blues haben?
Dr. Croos-Müller: Da müssen wir erst einmal unterscheiden zwischen der großen Gruppe der „allgemeinen“ und damit saisonal unabhängigen Depressionen, die bei bis zu 7 % der Bevölkerung beobachtet werden und der saisonal auftretenden Depression (SAD = seasonal affective disorder). Davon sind nur ca. 2 % der Menschen betroffen. Ein wenig häufiger kommt die abgeschwächte Form dieser „Winterdepression“, besser bekannt als „Herbst-Blues“ vor, in der Fachsprache als subsyndromale SAD (s-SAD) bezeichnet.
Herbst-Blues und Winterdepression zeigen ein erhöhtes Schlafbedürfnis, ganz im Gegensatz zu den „allgemeinen“ Depressionen – dort bestehen Einschlafstörungen, Durchschlafstörungen und Schlafdefizite. Bei der saisonal auftretenden Depression haben wir einen meist gesteigerten Appetit, sogar Heißhunger, vorzugsweise auf Süßigkeiten. Bei der nicht saisonalen Depression verschlägt es uns eher den Appetit, im Rahmen der allgemeinen Freudlosigkeit macht auch das Essen keine Freude mehr.
Allen Depressionsformen gemeinsam ist die generelle Lustlosigkeit „kein Bock auf Nix“ und damit verbunden sozialer Rückzug, generell trübe Gedanken, fehlende Kreativität und ein Leistungsknick. Und jede dieser Depressionsformen beruht auf einem Mangel an den Botenstoffen Serotonin und Noradrenalin im Nervensystem.
Herbst-Blues und Winterdepression treten mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf nach dem Motto „alle Jahre wieder“, während andere Depressionsformen oft nur einmal im Leben als Episode auftreten.
Gibt es die Gefahr, vom Herbst-Blues in eine schwere Depression abzurutschen und was sind die Warnzeichen?
Dr. Croos-Müller: Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering – meist hat man nur die eine oder andere Form einer depressiven Erkrankung. Wichtig ist im Vorfeld die genaue Diagnostik/Unterscheidung. Die schwere Depression mit ihrer vollkommenen emotionalen Erstarrung bis hin zur Lebensmüdigkeit ist nicht zu übersehen – auch nicht für den Laien.
Es gibt Studien, die besagen, dass Frauen von SAD (seasonal affective disorder) deutlich häufiger davon betroffen sind, als Männer. Ist das tatsächlich so oder thematisieren Männer das Leiden nur weniger?
Dr. Croos-Müller: Ich sehe in den letzten Jahren auch zunehmend mehr Männer mit Angststörungen oder depressiven Verstimmungszuständen. Das mag einerseits mit der Enttabuisierung dieser Erkrankungen auch bei Männern zusammenhängen, vielleicht auch mit einem erhöhten Lebens- und Erfolgsdruck und der Übernahme von neuen Rollen in der Familie. Der Geschlechterunterschied ist gar nicht so ausgeprägt, wenn wir genau hinschauen. Das leider immer noch schambesetzte Thema der Depression wird sicher zu sehr als „Frauenkrankheit“ gesucht und gefunden und für die Männer und deren Not besteht ein blinder Fleck.
Im Herbst und Winter wird häufig noch ein Urlaub ins Warme geplant, um dem heimischen Wetter zu entkommen. Ist das wirklich hilfreich oder nur eine Art der Verdrängung?
Dr. Croos-Müller: Das ist durchaus der instinktiv richtige Reflex, wobei es weniger um die Wärme, sondern um die Intensität des Tageslichts geht. Denn die sogenannten saisonalen Verstimmungszustände/Depressionen sind in den südlichen Ländern so gut wie nicht bekannt bzw. nehmen zu, je weiter nördlich die Menschen leben. Die skandinavischen Länder sind besonders betroffen. Deshalb sind dort zum Beispiel die Wartebereiche der öffentlichen Verkehrsmittel mit extrem hellen Lampen ausgestattet, um Tageslicht zu simulieren und den saisonal bedingten Depressionen vorzubeugen.
Ja, ein kleiner Sonnenurlaub im Winter wäre gut, aber besonders in Zeiten der Reisebeschränkung müssen wir unbedingt Tricks und Techniken entwickeln, um uns unabhängiger zu machen. Man sollte sich nicht alles gefallen lassen von Jahreszeiten und dadurch bestimmten Stimmungsschwankungen.
Ist es vielleicht umso wichtiger, sich den verschiedenen Stimmungen zu stellen und die Jahreszeiten mit all ihren Facetten bewusst wahrzunehmen?
Dr. Croos-Müller: Unbedingt, vor allem dann, wenn ich nur eine leichte Form der saisonal bedingten Depression habe, also den Herbst-Blues. Denn wenn ich schon im Sommer anfange, mantraartig den Herbst als meine schlechte Jahreszeit schlecht zu reden und mich vor dem Herbst und Winter fürchte, programmiere ich mich damit negativ. Das wird als sogenannter Carpenter Effekt bzw. Kohnstammphänomen bezeichnet: Erinnerungen und Gedanken setzen einen komplizierten Mechanismus im Gehirn und Körper in Gang – entweder in einem positiven oder negativen Sinn. Erwartungsängste sind sehr destruktiv, gute Vorsätze und Zuversicht dagegen haben einen großen Heilungseffekt. Wenn ich mich nun bemühe, mit offenen Augen Schönheiten und Vorteile von Herbst und Winter zu sehen und zu sammeln, kann ich durch eine andere innere Einstellung tatsächlich bereits antidepressive Hormone in Eigenproduktion aufbauen.
Die wichtigste Frage aber ist: was können wir aktiv gegen den Herbst-Blues tun? Gibt es Übungen, die uns dabei helfen, unsere Stimmung zu verbessern? Sollten wir unsere Ernährung ändern, bestimmte Rituale einführen, Sport machen?
Dr. Croos-Müller: Die gute Nachricht ist: wir können sehr, sehr viel tun! Natürlich ist ein täglicher Vitaminstoß aus Obst und Gemüse – pestizidfrei – schon eine gute Grundlage, vielleicht mit einer kleinen Zugabe von Gewürzen wie Zimt, Nelke und Vanille, denen eine stimulierende Wirkung nachgesagt wird. Nicht umsonst werden im traditionellen Weihnachtsgebäck diese Zutaten verarbeitet. Und dann das wunderbare antidepressive Allheilmittel der Bewegung! Egal, in welcher Form – Hauptsache so oft wie möglich und besonders morgens. Ein bisschen strampeln im Bett, sich dehnen und strecken und das alles in Kombination mit einer Lichtdusche am Bett 5-15 Minuten: genial! Lichttherapie mit einer entsprechenden Halogenlampe mit mindestens 5000, besser 10.000 Lux ist eine anerkannte Therapie – aber bitte mit Sonnenbrille zum Schutz der Augen. Lichttherapie bedeutet aber auch, nach Möglichkeit täglich hinausgehen, denn selbst bei bewölktem Himmel ist tagsüber diese antidepressive Lichtfrequenz vorhanden.
Bye bye Herbst-Blues! Dr. Croos-Müllers liebste Body 2 Brain Übungen* für den Herbst und Winter
Jeden Tag ein kleiner Lust-Freude-Spaziergang – der beginnt schon morgens beim kurzen Weg vom Bett ins Badezimmer und in die Küche:
- mit Hüftschwung „Let’s dance“ gehen
- die Füße kraftvoll aufsetzen und stampfen
- die Arme im Rechts Links Rhythmus mit Schwung einsetzen, auch die Ellbogen mitmachen lassen
Bei jedem Weg draußen – egal, ob zum Arbeitsplatz, zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel oder zum nächsten Geschäft:
- den Blick schweifen lassen/mit den Augäpfeln rollen – das Hin- und Herbewegen der Augen von links nach rechts und von rechts nach links wirkt mental beruhigend, besonders in Verbindung mit Natur und schönen Farben
Beim zusätzlichen Spaziergang:
- Lächeln, auch unter der Maske, denn auch die kleinste Outdoor-Freude macht es doch leicht, ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern und andere Menschen damit anzustecken durch die so genannten Spiegelneuronen. Das wiederum wirkt antidepressiv und somit gesundheitsfördernd
- Schlendern – mal Geschwindigkeit rausnehmen, sich in den Hüften wiegen, die Schultern lockern: Schlendrian ist Baldrian in unserer hektischen Zeit. Deshalb: kleiner Schlender-Genussspaziergang
- durch das bunte Herbstlaub hüpfen – die Farben genießen und das Rascheln. Die Sinne werden dadurch angeregt und das wirkt stimulierend und antidepressiv. Hüpfen stärkt vor allem wegen seiner Aufwärtsbewegung Zuversicht und gute Laune. Beim Hüpfen lockert sich die Muskulatur, diese Impulse werden an das Gehirn weitergeleitet und stimulieren die Laune. Kombiniert mit einem kleinen Ha-Ha-Ha: Lockerung von Brust und Zwerchfell verbessern ebenfalls die Stimmung.
Freude im Alltag
Und auch am Arbeitsplatz mal den Flur entlang hüpfen! Vielleicht sogar um die Wette mit Kolleginnen und Kollegen – Kinder-Freude hilft auch Erwachsenen gegen Trübsinn.
Zusammenfassend: jeden Tag ein wenig Körperlust – die Auswirkung von lustvollen kleinen Körperaktivitäten auf die Psyche sind enorm, wie Forschungen zu Embodiment zeigen.
* Alle diese Übungen stammen aus der BODY 2 BRAIN CCM® Methode. Dazu gibt es sogar eine kostenlose App: Body2Brain.
Mit diesen Tipps kann uns auch die graue Jahreszeit nichts mehr anhaben. Bye bye Herbst-Blues also!
Über die Expertin Dr. Croos-Müller
Dr. Claudia Croos-Müller ist Fachärztin für Neurologie und Psychotherapie und führt nach Jahren als Leitende Ärztin des Bereich Neurologie am RoMed Klinikum in Rosenheim eine eigene Praxis. Bekannt wurde sie durch zahlreiche Bücher, z.B. aus der Reihe der „Kleinen Überlebensbücher“, mit 7 verschiedenen Themen, wie „Kopf hoch“, „Nur Mut“, „Schlaf gut“. Sie hat eine neuartige Methode kreiert, BODY 2 BRAIN CCM®, die mit einfachen Alltagsübungen hilft, Selbstwirksamkeit zu manifestieren und damit Beschwerden unter Kontrolle zu bekommen.
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